Artikel in der Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung (BSZ vom 17.6.)

 

Am Tag der Eröffnung war auch ein Redakteur der BSZ zugegen, der im Anschluss an den offiziellen Teil zu einem Gespräch mit den InitiatorInnen einlud. Herausgekommen dabei ist der folgende Artikel, der am 17.6. in der Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung erschie:

Bochums erster Umsonstladen

Alles
für alle, und zwar umsonst! Dieser provozierend utopische Spruch gehört
auf vielen linken Demonstrationen zum Standardrepertoire. Dass hinter
der kurzen Forderung nicht nur Träume, sondern auch ganz praktische
Politikansätze stehen, zeigt jetzt eine Bochumer Initiative: Die Gruppe
BochUMsonst hat am vergangenen Wochenende den KostNixLaden eröffnet.

Sonntagabend, 20 Uhr. Auf einem Innenhof an der Rottstraße drängen sich
die Leute. Weit über 50 BesucherInnen sind in das Soziale Zentrum
gekommen. Sie alle interessieren sich für ein verhältnismäßig kleines
Zimmer im ersten Stock. Hier hat ein neues Projekt sein Quartier
gefunden: Aus dem KostNixLaden können alle BesucherInnen Gegenstände
mitnehmen, für die sie eine Verwendung haben – ohne Geld und
Gegenleistung. Es werden Dinge angeboten, die Menschen im Laden
abgeben, weil sie sie nicht mehr brauchen, die andererseits jedoch zu
schade wären, um sie wegzuwerfen. Von dem neuen Angebot wurde am
Sonntag reger Gebrauch gemacht: Hosen und T-Shirts, Stofftiere und
Geschirr, ja selbst Herdplatten fanden neue NutzerInnen.

Nicht nur für „Bedürftige“

Über
30 selbstorganisierte Projekte dieser Art gibt es schon in der
Bundesrepublik. Das Konzept ist überall ähnlich: Anders als bei
karitativen Einrichtungen wie Kleiderkammern oder den Tafeln sollen
nicht nur „besonders Bedürftige“ mit kostenlosen Gebrauchsgegenständen
versorgt werden. Die Umsonstläden können und sollen alle nutzen, und
zwar unabhängig vom Geldbeutel.
Natürlich soll der Laden auch Leuten
helfen, die wenig Geld zur Verfügung haben. Aber der Anspruch geht viel
weiter: Die Initiative BochUMsonst will auf praktische Weise
kritisieren, dass in der herrschenden Gesellschaft fast alles einen
Warenwert hat und nur für Geld zu haben ist – und dass andererseits
nützliche Gebrauchsgegenstände massenhaft weggeworfen werden. „Uns geht
es darum, dass die Leute den Gebrauchswert, und nicht den Tauschwert
einer Sache wahrnehmen. Nicht ein Preisschild ist das Wichtige, sondern
was ich mit dem Ding anfangen kann.“

Hier wird nicht getauscht

Diese
alternative Wertlogik wollen die InitiatorInnen des Bochumer
Umsonstladens durch selbstorganisierte Solidarität im täglichen Leben
allmählich verbreiten. Deshalb geht es bei dem Projekt anders als etwa
bei Tauschringen nicht um Leistung und Gegenleistung. Zwar sind alle
eingeladen, Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände, für die sie keine
Verwendung mehr haben, vorbeizubringen. Besonders wichtig ist der
Bochumer Initiative jedoch, dass das keine Bedingung ist: „Wir wollen,
dass nicht nur das kostenlose Geben, sondern auch das bedingungslose
Nehmen selbstverständlich wird. Niemand sollte ein schlechtes Gewissen
dafür haben, dass er oder sie kein Geld für die Erfüllung der eigenen
Bedürfnisse ausgeben will.“ Das Ziel bestehe darin, eine Möglichkeit
für den Erwerb, die Nutzung und die Weitergabe von Gütern außerhalb der
kapitalistischen Tauschwertlogik zu bieten.

Die Bochumer
Umsonstladen-GründerInnen sind sich bewusst, dass das Projekt in dieser
Form nur in einem Überfluss produzierenden kapitalistischen System
denkbar ist. „Der KostNixLaden selbst ist kein Modell für eine
Gesellschaft, in der nach den Bedürfnissen der Menschen produziert
wird. Aber eine solche Gesellschaft gibt es derzeit leider nicht. Und
der Umsonstladen schafft einen sozialen Raum, in dem hier und heute
alternatives und solidarisches Handeln möglich ist.“
Um neben dieser
praktischen Tätigkeit weitergehende Auseinandersetzungen anzustoßen,
will die Initiative in Zukunft auch Diskussionsveranstaltungen
organisieren. Die Ideen reichen von den großen theoretischen Fragen bis
hin zu Themen, die sich aus der konkreten Umsonstladen-Arbeit ergeben:
„Wir stellen zum Beispiel fest, dass ein Großteil der Anziehsachen, die
wir bekommen, für die meisten Menschen zu eng sind. Und auch in der
linken Szene, der wir uns zugehörig fühlen, gilt: Wer gut aussehen
will, muss dünn sein. Deswegen wollen wir uns genauer und kritisch mit
Körperwahrnehmung und Körperidealen beschäftigen.“

Umsonst einkaufen – umsonst essen

Ab
sofort ist der Bochumer KostNixLaden jeden Sonntagnachmittag geöffnet.
Den Termin haben die Aktiven nicht zufällig ausgewählt. Der Tag ist mit
dem kostenlosen veganen Essen von „Food Not Bombs“ im Sozialen Zentrum
schon seit Jahren ein etablierter Termin für ein politisches
Umsonst-Projekt. Weil die beiden Initiativen ihre radikale Kritik an
den bestehenden, auf den Tauschwert ausgerichteten Verhältnissen
teilen, hoffen sie auf Synergieeffekte in ihrer Arbeit.

Wohin
eine solche Vernetzung führen kann, zeigt das Beispiel Hamburg. Dort
sind die beiden lokalen Umsonstläden nur Bestandteile einer größeren,
gemeinschaftlich organisierten Struktur, die in erster Linie ein Ziel
hat: Die teilnehmenden Menschen wollen ihre Abhängigkeit von
Erwerbsarbeit so weit wie möglich reduzieren. In dem Hamburger
Projekteverbund gibt es inzwischen ein Kleinmöbellager, die „Freie Uni
Hamburg“ als kostenloses Bildungsprojekt, eine
Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt, eine Textilgruppe, die „Freie Bibliothek“
und eine Menge kleinerer Projekte.

Auch in Bochum können sich
die Aktiven von BochUMsonst zusätzliche Angebote gut vorstellen: In der
Gruppe werde gerade diskutiert, wie man auch Lebensmittel kostenlos
vermitteln kann. Im Umfeld des KostNixLadens und von Food Not Bombs
gibt es einige Leute, die Essen „containern“ – sich also unverdorbene
Lebensmittel organisieren, die von den Supermärkten weggeworfen werden.
Immer wieder falle dabei mehr ab, als mit den bisherigen Strukturen
sinnvoll verteilt werden kann. Und wenn das Soziale Zentrum wie geplant
in einem Jahr umzieht, dann stehe auch eine Vergrößerung des
Umsonstladens zur Debatte.

rvr"


Link zum Artikel

This entry was posted in Resonanz. Bookmark the permalink.